Wenn man – in einem Zimmer sitzend – die Sonne durch ein Fenster hindurch beobachtet und ihre Positionen von Zeit zu Zeit auf der Fensterscheibe markiert, dann entstehen interessante Kurven. Sie sind teils nach oben, teils aber auch – ganz unbekannter Weise – nach unten gewölbte. Und am Frühlings- und Herbstanfang bilden sich sogar gerade Linien heraus. Genau diese Linien zeigt das Sonnenzimmer, das im Frühjahr 2009 im Maßstab 1:20 entstand.
In den Ecken der Hangfläche zwischen den Treppen am Stadtparksee stehen vier Säulen, die von stabilisierenden Rundbögen überspannt werden. Sie deuten ein fünffach vergrößertes Wohnzimmer an. In den offen gelassenen Wand- und Deckenflächen zeigen entsprechend gebogene Stangen die tiefste, mittlere und höchste Bahn an, auf der die Sonne – vom Mittelpunkt der Sonnengang-Uhr aus betrachtet – über den Himmel wandert. Schaut man entlang des sich drehenden Zeigers der Sonnengang-Uhr, so sieht man, wie dieser die Bahnen in den Wandflächen und darüber hinaus die kosmischen Bahnen der Sonne exakt nachzeichnet.
In der Ostwand des Sonnenzimmers befindet sich die Analemmakurve, die die Form einer schrägen Acht bzw. des Unendlichkeitssymbols hat. Sie zeigt den Stand der Sonne im Verlaufe eines Jahres jeweils um 9:00 Uhr Ortszeit (= 9:20 Uhr MEZ) an. Die mathematisch komplizierte Analemmakurve hat einen ganz eigenen, skulpturalen Reiz. Sie entsteht dadurch, dass die Erde nicht kreisförmig sondern elliptisch um die Sonne wandert. Dadurch ändern sich die Wanderungsgeschwindigkeit der Erde um die Sonne und folglich auch die Tageslänge ein wenig.
2009/10 wurden Fotos vom 1:20-Modell und vom geplanten Standort zu vier Bildern montiert, die erste Eindrücke vom originalgroßen Sonnenzimmer am Originalstandort geben.
Geometrische Raumgestalt
Bei der Fotomontage, die das Sonnenzimmer vom Modellbootteich aus gesehen zeigt, stellte sich überraschenderweise heraus, dass das Planetarium hoch symmetrisch innerhalb des Sonnenzimmers „steht“. Eine detektivische Analyse dieser Bildkomposition förderte nach vielen vergeblichen Ansätzen schließlich die im folgenden Bild dargestellte, sehr besondere, geometrische Gestalt zutage, die durchgängig von den Proportionen des Goldenen Schnitts (1;1,618) geprägt ist.
Offensichtlich haben die Baumeister des Stadtparks diese Raumgestalt in der Dimensionierung von Planetarium, Treppenanlage und Hauptachse bereits angelegt. Soweit wir wissen, ist davon aber bislang nie etwas öffentlich bekannt geworden. Da sowohl das Sonnenzimmer wie auch das Stegmodell ebenfalls streng nach Goldenem Schnitt entworfen und exakt in die vorgegebenen Raumgestaltungselemente eingebunden wurden, hat sich diese reizvolle Raumgestalt ergeben, ohne dass jemand im Vorhinein davon etwas geahnt, geschweige denn geplant hätte.
Das Sonnenzimmer schafft eine optische Verbindung zwischen Planetarium, Festwiese, Treppenanlage und Stadtparksee und offenbart die geometrischen Bezüge zwischen ihnen in einer prägnanten Bildkomposition.
Besucher-Resonanz
Bei den Präsentationen im Stadtpark stieß das Sonnenzimmer auf großes Interesse. Viele Besucher erkannten in dem Modell spontan „etwas Astronomisches oder „eine Art Sonnenuhr“. Das Sonnenzimmer wurde als interessante, überzeugende oder sogar faszinierende Erweiterung des zentralen Stegmodells beurteilt.
Viele empfanden die leichte, sehr offene, modern wirkende Konstruktion mit ihren Bezügen zum Planetarium ideal geeignet für diesen Standort. Einige waren beeindruckt von der seltenen Kombination aus Kunstwerk und wissenschaftlichem Instrument. Wiederholt taucht aber auch die Frage auf, ob die Installation nicht zu groß wirken könnte.
Statische Berechnungen
Im Rahmen einer Studienarbeit konnte Anfang 2011 nachgewiesen werden, dass ein originalgroßes Sonnenzimmer statisch stabil wäre, wenn man es gemäß den Proportionen des 1:20-Modells bauen würde. Eine noch größere Stabilität entstünde, wenn man die beiden diagonalen Kuppelbögen halbkreisförmig bis zum Boden herunterführte. Dadurch bekäme das Sonnenzimmer eine alternative, mehr kuppelförmige Gestalt.
Das Plexiglas-Kegelmodell
Um besser verstehen zu können, wie die unsymmetrisch gewölbten Sonnenbahnen in den Wandflächen des Sonnenzimmers zustanden kommen, wurde 2012 das Plexiglas-Kegelmodell in Tischgröße (Maßstab 1:80) entwickelt und gebaut. Bei ihm sind die beiden Flächen, auf denen der Sonnenzeiger in seiner maximalen Sommer- bzw. Winterstellung entlang streicht, aus Kartonpapier nachgebildet worden.
Die beiden Flächen bilden die Form von zwei sich gegenüberliegenden stumpfen Kegeln. Ihre Spitzen liegen im Ausgangspunkt des Sonnenzeigers. Die Kegelflächen erstecken sich bis zu den Sonnenzimmerwänden aus transparentem Plexiglas. Wo die beiden Flächen zusammenstoßen, bilden sich genau diejenigen Wölbungen heraus, die auch bei den Stangen in den Wänden des Sonnenzimmers zu finden sind. Auf beiden Kegelflächen markieren je 24 strahlenförmige Linien den Sonnenstand zur jeweils vollen Stunde.
Die Kegelflächen liegen ziemlich schräg und zur Straßenseite hin verschoben im Sonnenzimmer. Je weiter die Wand von der Kegelspitze entfernt ist, umso flacher ist die Kegelfläche hier gewölbt und umso größer sind die Abstände zwischen zwei benachbarten Stundenmarkierungen. Da der Sommerkegel mit der Spitze schräg nach unten gerichtet ist, wölbt sich seine Fläche durchgängig nach unten. Beobachtet man, wie diese Kegelfläche auf die Wände stößt, so leuchtet leicht ein, dass sich die Sommerbahnen ebenfalls nach unten gewölbt ausbilden müssen. Damit klärt sich dieses Phänomen auf, das allgemein ebenso unbekannt wie unverständlich ist. Da der Winterkegel entgegengesetzt ausgerichtet ist, sind die Winterbahnen, wie intuitiv erwartet, nach oben gewölbt.
Die Kegelflächen verlaufen natürlich auch in den Ecken des Sonnenzimmers ganz gleichförmig, d. h. aus der Perspektive des Sonnenzeigers gesehen gehen die Sonnenbahnen in den Ecken ganz glatt ineinander über. Nur weil die Wände, die in die Kegelflächen hineinschneiden, rechtwinklig abknicken, erscheinen – aus den meisten Perspektiven – die Sonnenbahnen in den Ecken des Sonnenzimmers so sonderbar abgeknickt. Während der Präsentationen lösten diese scheinbaren Knicke bei den Besuchern immer wieder Überlegungen aus, die teils bis ins Philosophische hineinführten: Verhält es sich bei manch einem Knick im Lebenslauf vielleicht ähnlich? Ob er sich aus einer bestimmten, uns möglicherweise verborgenen Perspektive heraus ebenfalls als kontinuierliches (sinnvolles?) Geschehen darstellen könnte?
Das Holz-Kegelmodell
Die Winterkegelfläche ist in einem „Geschwistermodell“ noch einmal aus massivem Holz nachgebaut und dabei über die Sonnenzimmerwände hinaus bis zum Vollkreis weitergeführt worden. Bei diesem Holz-Kegelmodell kann man mit den Händen wunderbar über die Kegelfläche streichen, sie befühlen und begreifen.
Dadurch wird ein weitergehendes Erleben und Verstehen dieser geometrischen Urform möglich, die den Sonnenbahnen zugrunde liegt. Auf der Holzkegelfläche ist die Lage der Sonnenzimmerwände mit dünnen Linien markiert. Auf ihnen kann man mit dem Finger entlang streichen und so erspüren, wie die komplizierten Wölbungen der Winterbahnen zustande kommen.
Das Holz-Kegelmodell hat den gleichen Maßstab (1:80), die gleiche 24stündige Zeiteinteilung und einen baugleichen Sonnenzeiger wie das Plexiglas-Kegelmodell. Es dient in erster Linie dem besseren Verständnis der Sonnenbahnen im Sonnenzimmer. Darüber hinaus stellt es aber auch eine eigenständige Sonnengang-Uhr dar, bei der eine nochmals ganz andersartige skulpturale Ausgestaltung realisiert worden ist.
Die beiden Kegelmodelle tragen bei den Präsentationen ganz wesentlich zum Verständnis der Sonnenbahnen im Sonnenzimmer bei.